Bevor wir mit den Siebziger Jahren weiter machen, eine kurze generelle Anmerkung. Es gibt und gab auch Underground- oder Subkulturen, die ihre eigene Ästhetik haben, wie etwa der Rock'n
Roll-Stil, der Punk-, Disco-, Mod- oder Anarcho-Stil. Außerdem bestehen die Modelinien und Silhouetten der vergangenen Ären weiter und fristen als „Retro-Look“, „Comeback“ oder manchmal auch
einfach als Altdamenstil ein Dasein.
Das interessiert mich hier alles nicht. Ich beschäftige mich mit der Mainstream-Mode, die tatsächlich von den meisten Frauen getragen wurde.
1975
Die Siebziger Jahre waren viel spießiger, als man uns heute weismachen will. Plateauschuhe, Disco-Glitter und Schlaghosen? Naja. In Wirklichkeit zeigte die Mode der Zeit eine sehr brave Linie.
Sanfte Weiblichkeit war gefragt, ausgewogene Proportionen und freundliche Farben dominierten die Looks. Das Jahrzehnt feierte den Bodytype der Cassics, und zwar diesmal der Soft Classics. Diane
Fürstenbergs Kleider (links) eroberten die Herzen der Frauen.
Um uns den Unterschied zwischen Soft und Dramatic Classics noch einmal deutlich vor Augen zu führen, hier die beiden prominentesten Modeikonen der 40er und der 70er Jahre, Veronika Lake und Farah
Fawcett:
Wir sehen einmal scharfe Kantigkeit, harte Konturen und einen strengen Blick. Im zweiten Bild sehen wir sanfte Linien, pastellige Farben und einen offenen Blick.
1985
Und wieder ändert sich nicht nur die Mode, sondern auch der Bodytype, dem sie am besten steht. Die Achtziger Jahre lassen sich in einem Wort zusammenfassen: Exzess. Knallige Farben, unglaubliche
Schultern, Riesenvolumen, Unmengen von Accessoires und erstmals athletische Sportlichkeit. Niemand konnte dem Modebild so gut gerecht werden, wie Flamboyant Naturals. Diese Mode brauchte große
Frauen, breite Schultern, muskulöse Beine - alle anderen ertranken fast in den Outfits der Zeit. Der häufigste Satz, den ich damals von meinen Freundinnen zu hören bekam, war ein klagendes „Ich
bin zu klein“. In den Achtzigerjahren begannen die Karrieren der Supermodels, die wir noch heute kennen: Claudia Schiffer, Naomi Campbell und Cindy Crawford, alles Flamboyant Naturals.
Zum ersten Mal in der Kostümgeschichte wurde Sportkleidung im Kontext „Fashion“ abgebildet. Sehen die 5 entzückenden Damen in Sneakers? Vier leuchtende Naturals (wenngleich nicht unbedingt
„flamboyant“) und als zweite von links eine Dramatic. Sie ist die einzige, die hier so wirkt, als käme sie tatsächlich vom Schulturnen.
Diane Spencer, eine der wichtigsten Modeikonen der 80er, sieht hier prachtvoll aus in einem Outfit, dass ich mir nur schwer an einem anderen Bodytype vorstellen kann. Und schließlich die Dame im
Jeansmini - wir sehen eine Soft Gamine in 80er Mode.
1995
war die Dekade des „Heroin Chic“ und es ist sofort klar, welcher Bodytype am besten in diese Zeit passt, nämlich Dramatics. Kate Moss war die Modeikone schlechthin. Über die 90er Jahre gibt es
erstaunlich viele Missverständnisse. V.a. angesichts dessen, wieviel Bildmaterial es gibt und dass sie den meisten noch persönlich in Erinnerung sind. Fast alles, was Sie heute unter „90's
Fashion“ ergoogeln, ist falsch, atypisch, Teenie-Look oder Grunge, was wir unter 'Subkultur' ablegen wollen. In Wirklichkeit dominierten Schwarz, Dunkelblau und Grau. Die Neunziger-Mode setzte
auf schnick-schnackbefreite, geradlinige Dramatik.
Spätestens jetzt ist Zeit für eine weitere grundsätzliche Anmerkung. Mode wird auf dem Laufsteg nahezu immer von Dramatics oder sehr schlanken Flamboyant Naturals getragen. Das hat Tradition:
Seit der Beginn der Modezeichnung im 19.Jhd. wird Mode an superschmalen, verlängerten Figurinen abgebildet. Das soll uns nicht verwirren, wenn wir erkennen wollen, für welchen Bodytype eine
bestimmte Mode am besten geeignet ist.
2005
In den Nullerjahren tauchte das Babydoll auf, das von Doris Day in den frühen 60er Jahren als Nachtwäsche getragen wurde, jetzt plötzlich A-Linie genannt. Die gesamte Silhouette wurde verspielt,
verkleinerte die Staturen und sah 'lustig' aus, aber sicher nicht elegant, auch nicht sportlich oder erwachsen. Ganz offensichtlich befinden wir wieder in einer Ära, die an Gamines am besten
wirkt. Beinverlängernde Pumps wurden plötzlich spießig, man trug Gladiator-Sandalen o.ä., und wenn man damals ein elegantes Kleid suchte, landete man im Nirvana. Ich habe mir als Natural in den
80er Jahren leicht getan, in den Neunzigern kam ich mit der Mode noch halbwegs über die Runden. In den Nullerjahren war es für mich hoffnungslos, modisch zu sein. Ich habe mich damals auf Jeans
und T-Shirt zurückgezogen und habe mich geärgert, wenn erklärt wurde, dass die A-Linie „jeder Frau steht“, denn das tut sie nicht.
Hier eine Flamboyant Natural und eine Natural (meine Wenigkeit) in dem für sie völlig falschen Outfit der 00er Jahre.
2015
DER Look der 2010er Jahre schlechthin: Skinny Jeans, weite Oberteile, lange Haare. Was haben alle diese Fashion Icons gemeinsam? Lange Beine sind für den Look irrelevant. Im Gegenteil, Skinny
Jeans und flache Schuhe machen Beine absichtlich kürzer. Abgesehen von den Knöcheln sind alle Konturen verschwommen, Taille sieht man selten, Schultern verfließen. Es ist fast wie ein Revival der
verschwommenen Konturen von 1915. Diese Frauen sind eher klein und feminin, aber nicht sonderlich elegant. Es ist ein Look, den am besten Soft Naturals tragen können. Sportliche und natürliche
Grundausstrahlung sowie wohlgerundete Beine sind die essentiellen Elemente des Looks.
2020
Wer weiß das schon? Die derzeitigen Forecasts zeigen v.a. zwei Elemente: irre Farben und irres Volumen. Aber letztlich konnte auch 1915 niemand ahnen, dass bald das Flapperdress auftauchen würde.
Ich glaube, die 2020er Jahren werden ganz anders aussehen, als wir uns das heute vorstellen.
Zum Abschluss ein Blick noch weiter zurück und damit - wenn Sie wollen - ein Miniquiz:
Welche grundsätzlichen Bodytypes sehen wir in den Hauptlinien der Mode des 19.Jahrhunderts,
Empire - Biedermeier - Mitte des Jhds - Gründerzeit - Fin de Siecle?
Ich sehe hier in dieser Reihenfolge: Gamines - Romantics - Classics - Dramatics - Naturals